Der Diesel-Skandal war vieles: ein flächendeckender und systematischer Betrug an Millionen Verbrauchern, der größte Wirtschaftsskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte, ein Stück Rechtsgeschichte und der Wendepunkt hin zur Elektromobilität. In Vergessenheit gerät aber immer wieder, dass er vor allem eines war: ein Umwelt-Skandal mit drastischen Folgen für Mensch und Natur, der aber wegen politischem Filz und Wirtschaftsinteressen völlig folgenlos geblieben ist.
Mit der Aufdeckung des Volkswagen Diesel-Skandals im Jahr 2015, ist erstmals offiziell bekannt geworden, dass weltweit Millionen Diesel-Fahrzeuge illegale Abschalteinrichtungen enthalten. Weil die Hersteller für ihre Diesel-Fahrzeuge die offiziellen Schadstoff-Grenzwerte nicht bei gewünschter Profitabilität einhalten konnten, haben sie sich die Typgenehmigung schlicht durch Betrug erschlichen. Das Auto war also nur im Labor so, wie es nach der Euro 5 oder Euro 6 Norm sein durfte – auf der Straße dagegen, hat es ein Vielfaches der erlaubten Menge an Luftschadstoffen wie beispielsweise den enorm schädlichen Stickoxiden ausgestoßen. VW steht nach wie vor exemplarisch für diesen Betrug, allerdings sind inzwischen zahlreiche Hersteller, wie beispielsweise Daimler oder Fiat, der illegalen Manipulation überführt worden.
Stickoxide entstehen durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe und haben dramatische Folgen für den Menschen und die Natur. Sie kontaminieren die Atemluft und verursachen schwere Lungen- und Atemwegserkrankungen, wie z.B.Asthma oder Bronchitis, sie schädigen das Schleimhautgewebe, belasten das Herz-Kreislauf-System und verstärken die Heftigkeit von Allergien. Darüber hinaus hemmen sie das Wachstum von Pflanzen, fördern die Übersäuerung von Böden, wirken überdüngend und schädigen damit Flüsse, Seen und das Grundwasser. Stickoxide werden in feinen Partikeln ausgestoßen, weshalb sie de facto unsichtbar sind und entsprechend von breiten Teilen der Bevölkerung nicht als Bedrohung wahrgenommen werden – andernfalls wäre der Diesel-Skandal wohl längst in eine Reihe mit Umweltkatastrophen wie dem Untergang der Exxon Valdez oder der Katastrophe von Bhopal eingereiht worden. Wissenschaftlern vom renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) zufolge, soll der massive Mehrausstoß an Stickoxiden allein durch den VW Diesel-Skandal und nur zwischen 2008 und 2015 zu bis zu 1.200 vorzeitigen Todesfällen allein in Deutschland geführt haben.
Selbstverständlich werden solche Zahlen im politischen Berlin und den Konzernzentralen gefürchtet, weshalb an Nebelkerzen nicht gespart wurde und wird, um die drastischen Folgen zu leugnen und runterzuspielen Im Jahr 2019 hat beispielsweise eine Stellungnahme von Lungenärzten über dieAuswirkungen von Stickoxiden für Aufmerksamkeit gesorgt. Darin hatten die vermeintlichen Experten die gesundheitsschädlichen Folgen heruntergespielt und die geltenden Abgas-Grenzwerte in Frage gestellt. Im In- und Ausland hat diese Stellungnahme zu heftigen Reaktionen geführt: den Autoren der Studie wurde von renommierten Wissenschaftlern unter anderem vorgeworfen, über „keinerlei epidemologische Ausbildung“ zu verfügen und eine ideologische „Stammtischdiskussion“ zu führen. Leider ist immer wieder zu beobachten, dass sich vermeintlich wissenschaftliche Erkenntnisse vor den Karren von Wirtschaftsinteressen spannen lassen – das war beispielsweise auch beim Entstehen der Anti-Raucher-Kampagne in den 1960erJahren genauso.
Wenn die schwerwiegenden Folgen der Stickoxide aber nun lediglich eine Mindermeinung oder die Paranoia von Umwelt-Fanatikern sind, fragt man sich, zu welchem Zweck die Grenzwerte denn überhaupt verabschiedet wurden – und warum beispielsweise VW in den USA damit geworben hat, einen „clean Diesel“, einensauberen Diesel zu bauen. Bei genauerem Nachdenken braucht es eigentlich weder einer sogenannten Expertenmeinung oder eines naturwissenschaftlichen Abschlusses, um nachvollziehen zu können, wie schädlich das Einatmen von Abgasen ist.
Es war und ist aber vor allem eine gleichgültige und lediglich Wirtschaftsinteressen gegenüber verpflichtete Politik, welche bereitwillig dabei sekundiert hat, den Diesel-Skandal unter den Teppich zu kehren. Anstatt aufzuklären, hat vor allem das Bundesverkehrsministerium wichtige Informationen verschleiert und verschleppt, wie im August 2021 auch durch die Antikorruptionsorganisation Transparency International moniert wurde. Ein solches Vorgehen hat hierzulande System: immer, wenn es darum geht, Wirtschaftsskandale aufzuklären – man denke auch an Wirecard, die Deutsche Bank oder die zahlreichen Korruptionsskandale – wird keine Mühe gescheut, Verantwortlichkeiten zu vertuschen und Konsequenzen zu vermeiden. Jeder Versuch, wirksame Sanktionierungs- und Abschreckungsmaßnahmen, wie beispielsweise ein effektives Unternehmensstrafrecht zu verabschieden, wird von Wirtschaftsverbänden und -interessen regelmäßig torpediert. A propos Strafrecht: auch die Strafverfolgung hat sich im Diesel-Skandal nicht mit Ruhm bekleckert. Die Haus- und Hof-Staatsanwaltschaft des VW-Konzerns in Braunschweig hat sich ja noch nicht einmal dazu durchringen können, im VW Diesel-Skandal Strafanzeigen wegen Luftverunreinigung zu erstatten, obwohl dies das Strafgesetzbuch absolut zugelassen hätte. Dass und wie es anders geht, hat sich mal wieder in den Vereinigten Staaten gezeigt: dort wurde Volkswagen nicht nur verpflichtet, betroffene Verbraucher schnell und unbürokratisch zu entschädigen, sondern auch einen hohen Milliardenbetrag in Umweltprojekte zu investieren.
Verbraucher, deren Fahrzeuge von den illegalen Manipulationen betroffen sind, sollten auch die gravierenden negativen Folgen für Gesundheit und Umwelt im Hinterkopf haben, wenn sie darüber nachdenken, Klage im Diesel-Skandal zu erheben. Das zivilrechtliche Vorgehen gegen den Hersteller ist nämlich leider die einzige Möglichkeit, die Betrügereien und Umweltverschmutzungen zu sanktionieren – von der Politik ist nämlich leider nichts zu erwarten, weil eine intakte Umwelt und gesunde Atemluft im Anbetracht von Wirtschaftsinteressen zweitrangig sind.
ts